Zauberpfade - Wandern in Tälern und Gründen um Hohnstein

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11,3 km
315 m
02u15
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Zuletzt überprüft: 16 November 2024

Beschreibung vom Autor

Oh, jetzt sind wir wohl mitten in die Zusammenkunft der Waldgeister geplatzt. Gut vorstellbar, dass bis eben noch Zwerge, Elfen, Feen, Nixen und Trolle waren, wo jetzt unzählige kleine Steintürmchen in Felslöchern und auf Felsbrocken stehen. Wahrscheinlich harren sie in ihrer Tarnung aus, bis wir Eindringlinge endlich weiterziehen. Ort und Zeit wären jedenfalls ideal für ein Treffen der scheuen Wesen. Die Gautschgrotte unweit von Hohnstein ist jetzt, an einem frühen Julimorgen, ein magischer Ort. Und wir haben ihn ganz für uns allein.
Etwa 20 Meter hohe Felswände bilden ein natürliches Amphitheater, einen überraschenden dramatischen Höhepunkt am Ende eines zugewachsenen Pfades. Die eindrucksvolle Formation, vor der wir uns winzig klein fühlen, gebietet Respekt und gedämpfte Stimmen. Nur das Tropfen des kleinen Rinnsaals, das nach Regenfällen zum rauschenden Wasserfall wird und in manchen Wintern zur monumentalen Eissäule erstarrt, belebt die Stille.
Die Einsamkeit ist der Lohn für den zeitigen Start. Schon bald wird der Zauber der Nacht, dessen letzte Reste noch als Morgennebel zwischen den Bäumen hängen, vollends verflogen sein. Und das Märchenreich wird sich wieder ganz in den Nationalpark Sächsische Schweiz verwandelt haben, der sich Naturfreunden und Waldliebhabern, Wanderern und Spaziergängern öffnet. Die Suche nach der Romantik, nach dem Schaurigschönen, hat uns hergeführt. Und es scheint, als hätten wir beides prompt gefunden. Von der Burgstadt aus soll uns unsere Wanderung ins Polenztal und dann bis auf das Felsplateau Brand, den »Balkon der Sächsischen Schweiz«, führen. Für die Gautschgrotte haben wir einen kleinen Abstecher gemacht.
Die Gründe, Täler und Schlüchte des Elbsandsteingebirges bilden die Antithese zu den spektakulären Felsformationen, zu den Tafelbergen, Basaltkegeln und Aussichtspunkten. Bastei, Königstein, Lilienstein, Pfaffenstein und Schrammsteine sind berühmte Kalendermotive und beliebte Ausflugsziele. Im Vergleich dazu führen die Gründe ein Schattendasein. Das liegt daran, dass ihre eigentlichen Reize sich schwer oder gar nicht im Bild festhalten lassen. Die Berge wirken durch ihre markante Ästhetik auch auf Fotos und Gemälden. Die Gründe hingegen wirken vor allem durch die Vielfalt der Sinneseindrücke, die sich nur vor Ort erleben lässt: die Kühle der Luft, der Duft des Waldes, das Murmeln der Bäche.
In den Gründen zu wandern, ist etwas für Connaisseure – und praktisch ganzjährig ein Genuss. Aufmerksame Wanderer entdecken, dass jeder Grund, jedes Tal und jede Schlucht eine eigene Signatur, einen unverwechselbaren Charakter hat.
Das erleben auch wir auf unserer Tour. Der Schindergraben, der Hohnstein mit dem Polenztal verbindet, zeigt sich rau, wild und wunderschön. Über den glasklaren Bach führen mehrere kleine Brücken. Von Lehrpfadtafeln am Wegesrand erfährt man unter anderem, dass die Bodenflora artenreicher als sonst im Sandstein ist und dass hier seltene Farnarten sowie besonders viele Moose und Flechten gedeihen. Wahrscheinlich ist es das, was die Luft hier so unbeschreiblich würzig macht.
Vom Schindergraben gelangen wir in das Polenztal. Es ist fast, als würde man von einem Dschungelpfad auf eine Flaniermeile einbiegen. War der Weg eben noch schattig und holprig, ist er nun sonnig, breit, eben und familienfreundlich. Die eindrucksvollen Felswände stehen hier weit auseinander. Der anfangs noch erdige Geruch geht bald in mild-holzige Waldluft über. Die Polenz hat sich ein malerisches Tal und ein breites, flaches Bett geschaffen. Der Bach glitzert heute friedlich und einladend in der Morgensonne. Faszinierend sind die üppig grün und dicht bewachsenen Felshänge an der Nordostseite. Gesunde Moose, Farne, Gräser, Sträucher und Bäume werden von sanft und beständig herabrieselndem Wasser überreich versorgt. Bereits seit 1940 steht das traumhafte Tal unter Naturschutz. Wasseramseln, Gebirgs- und Bachstelzen, Fledermäuse und Schmetterlinge fühlen sich hier wohl. Überregionale Berühmtheit haben die Märzenbecherwiesen im nördlichen Teil des Polenztales erlangt. Sie bilden eines der größten Wildvorkommen der Glockenblumenart in ganz Sachsen. Seine Blüte zwischen Anfang März und Anfang April lockt jährlich Schaulustige aus nah und fern in die Region.
Kurz hinter der historischen Waltersdorfer Mühle mit ihrem lauschigen Biergarten überqueren wir den Bach und verlassen bald das Tal in Richtung Brand. Der Weg führt uns durch den Schulzengrund. Es geht kontinuierlich aber erträglich aufwärts. Immerhin liegen zwischen der Polenz und dem Felsplateau knapp 180 Höhenmeter. Als wir nach etwa 15 Minuten kurz innehalten, fällt uns plötzlich auf, wie unsagbar still es um uns geworden ist. Irgendwo, weit entfernt, schlägt eine Amsel Alarm, sanft rauschen die Blätter, ein paar Insekten schwirren. Ansonsten absolute Ruhe.
Für Großstadtmenschen ist das eine Sensation. Wir verlieben uns spontan in dieses unscheinbare Fleckchen Elbsandsteingebirge. Und uns offenbart sich die Nationalparkidee in ihrer ganzen wunderbaren Tragweite. Hier in seiner Kernzone erleben wir den Nationalpark nicht nur als Schutzraum für bedrohte Arten, sondern auch als Oase für bedrohte Empfindungen. Wo der Lärm des Fortschritts verstummt, dürfen wir wieder nach den leisen Tönen der Wesentlichkeit lauschen.
Glücklich und zufrieden kommen wir schließlich auf dem Brand an, wo sich bereits die ersten Ausflügler für den Mittagsimbiss platzieren. Hier bietet sich noch einmal ein grandioser Rundblick über das Polenztal, den wir kurz genießen, bevor wir den Rückweg nach Hohnstein antreten. Uns ist jetzt nicht nach Trubel. Lieber wollen wir noch etwas das Naturerlebnis nachklingen lassen. Das letzte Stück der Rundwanderung ist ein breiter, befestigter Waldweg ohne nennenswerte Steigungen. Auf dem Park- und Bushalteplatz Eiche schließt sich für uns wieder der Kreis.
Einige Tage später erfahren wir, dass es Menschen gibt, die fest daran glauben, dass es im Elbsandsteingebirge zahlreiche sogenannte »Kraftorte« gibt, Orte an denen sich die »Energie der Erde« bündelt und die Wahrnehmung der Natur besonders intensiv sein soll. Wenn das stimmt, dann haben wir auf unserer Wanderung einige davon entdeckt.

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